So lesbisch war Schöneberg in der Weimarer Republik!
Die Gegend rund um den Nollendorfplatz in Schöneberg gilt als Hotspot der schwulen Subkultur. Überall wehen Regenbogenfahnen, aus zahlreichen Bars und Kneipen dringt Gelächter und Musik, abends bilden sich vor manchen Clubs und Darkroom-Läden manchmal sogar Schlangen. Doch Schönebergs queere Geschichte ist noch wesentlich vielfältiger. In den Goldenen Zwanzigern, der Zeit der Weimarer Republik zwischen 1918 und 1933, war Schöneberg auch der wichtigste Treffpunkt der lesbischen Community in Berlin. Die Stadtführerin Katja Koblitz zeigt, wo und wie damals gefeiert wurde und verrät, wie du dich auf Spurensuche begeben kannst.
„[W]ährend man früher […] von London und besonders von Paris als von der Stadt geheimnisvoller Freuden sprach – hat Berlin ihnen längst den Rang abgelaufen. […] Hier ist es jedem gegeben, nach seiner Fasson selig zu werden, für jeden Geschmack ist gesorgt – und seien es auch die ‚sogenannten Außenseiter der Liebe‘, die Homosexuellen, und unter ihnen speziell die Priesterinnen der Sappho – sie finden ihre Stätte, in der sie sich für lange Stunden aus der Sphäre bürgerlicher Norm hineinflüchten können, um in ihrer Art glücklich zu sein.“
Mit diesen Worten beschreibt Ruth Margarete Roellig in ihrem 1928 erschienenen Stadtführer „Berlins lesbische Frauen“ die Bedeutung Berlins gerade für frauenliebende ‚lesbische‘ Frauen in den 1920er Jahren. Dank eigener Organisationen, Treffpunkte, Zeitschriften und Events wurden sie ab 1919 immer sichtbarer, begünstigt durch die gesellschaftliche Liberalisierung in der ersten deutschen Demokratie.
Im südöstlichen Schöneberg, zwischen dem S- und U-Bahnhof Yorckstraße und dem U-Bahnhof Bülowstraße, machen wir uns auf ihre Spurensuche. Allein hier gab es dreizehn lesbische Treffpunkte – von den zahlreichen homosexuellen Lokalen und Bars, die von Schwulen, Lesben und trans Personen gleichermaßen genutzt wurden, ganz abgesehen. An der Bülowstraße 53, Ecke Yorckstraße, betrieb beispielsweise die Wirtin Cläre das Lesbenlokal „Oase“, das zeitweilig auch „Mickimaus“ hieß – vermutlich um die Begeisterung, die die Comicfigur in „Steamboat Willie“ (1928), dem ersten vertonten Zeichentrickfilm, auch in Berlin auslöste, zu nutzen.
Die Wirtin warb damit, „Mickimaus“ „ist und bleibt immer noch das gemütlichste Lokal aller Freundinnen“ – womit sie lesbische Frauen meinte – und es biete „gut gepflegte Biere“ zu „solide[n] Preise[n].“
Wir laufen die Straße weiter in Richtung der Hochbahntrasse der U2 und sehen rechts mit der Nummer 57 einen Wohn- und Gewerbekomplex aus den 1970er Jahren. Hier befand sich zwischen 1921 und 1933 das „Dorian Gray“, dessen Name auf den berühmten Roman des 1895 als Homosexueller verurteilten Schriftstellers Oscar Wilde anspielte. Richard Bytomski eröffnete es als Tanz- und Veranstaltungslokal, warb mit einer eigenen „neue[n] Kapelle“, „sehenswerte[n] Dekorationen“ und „internationalem Verkehr“ und sprach damit ein junges Publikum an. Als Vorstandsmitglied eines der großen Homosexuellen-Verbände der Zeit, dem „Bund für Menschenrechte“, fanden im „Dorian Gray“ auch Verbandstreffen statt. Nach seinem Tod 1927 führten zunächst zwei Freunde das Lokal weiter, ab 1931 dann Richard Bytomskis Mutter Franziska zusammen mit Anneliese Mater, die ihrerseits die Leiterin des nahegelegenen „Olala“ in der Zietenstraße 24 war.
Ab 1928 entwickelte sich das „Dorian Gray“ vermehrt zu einem lesbischen Treffpunkt. Die lesbischen Klubs „Lamentier“ und „Monbijou des Westens“ trafen sich dort ebenso wie das Redaktionsteam der Zeitschrift „Frauenliebe“ bzw. ihrer Nachfolgezeitung „Garçonne“. Neben „Elite-Abenden für Damen“ immer dienstags und donnerstags sowie Klubtreffen am Wochenende traten ab 1930 vermehrt trans Künstlerinnen wie Ossi Gades vom „Eldorado“ in der Motzstraße 15 auf – ein Hinweis darauf, dass die Lesben- und Trans-Szene in den 1920er Jahren eng verbunden waren. Zu Beginn der nationalsozialistischen Diktatur konnte Franziska Bytomski im Januar 1933 das Lokal noch an Karl Bergmann, den Gründer des Damenklubs „Monbijou des Westens“, verkaufen, das „Dorian Gray“ musste aber wie alle homosexuellen Lokale im März 1933 schließen.
Um zu unserem nächsten lesbischen Treffpunkt zu gelangen, überqueren wir die Bülowstraße und gehen am Supermarkt nach rechts. In der Hausnummer 37 befand sich in den 1920er Jahren der „Nationalhof“, ein Ballhaus im Hinterhof, das bereits im Kaiserreich mehrere große Säle betrieb. Ab 1920 öffnete es sich für homosexuelles Publikum: neben Aufführungen des „Theater des Eros“ fanden Feste wie der „Böse-Buben-Ball“ statt oder es kam zu Auftritten von Szenegrößen wie der trans Künstlerin Mieke. Von 1925 bis 1927 nutzte der „Bund für Menschenrechte“ den „Nationalhof“ für Vereinstreffen, Vorträge und Events. Seine Damengruppe blieb auch danach vor Ort; hinzukamen weitere Damenklubs, die den „Nationalhof“ vermehrt zu einem lesbischen Ballhaus machten. Zu ihnen gehörten u.a. die Damenklubs „BiF“ und „Erato“ von Selli Engler, der Herausgeberin der „Blätter idealer Frauenfreundschaften (BiF)“, der Klub „Violetta“ von Lotte Hahm und der Klub „Monbijou des Westens“ von Kati Reinhard. Die Damenklubs veranstalteten Tanzabende und Kostüm-Bälle, organisierten Treffen für trans Personen und boten neben Lesungen und Vorträgen Gruppen u.a. zum gemeinsamen Kegeln und Wandern an. Vor allem an den Wochenenden wurde der „Nationalhof“ viel genutzt und es kamen vermutlich bis zu 300 Lesben und trans Personen, aufgeteilt in die drei großen Säle, zusammen. Der Eintritt zu den Events war kostenlos, um an den Tänzen teilzunehmen, mussten Karten erworben werden, die für Mitglieder günstiger als für Außenstehende waren.
Vermutlich um die Bälle besser vorzufinanzieren, schlossen sich im September 1929 die mitgliederstärksten Klubs „Violetta“ und „Monbijou des Westens“ zusammen. Dies führte zu einem Aufschrei der Empörung in der lesbischen Community. Denn die Mitglieder waren nicht gefragt worden und zudem gehörte das „Monbijou des Westens“ dem „Deutschen Freundschaftsverband“ an und wurde in den „Bund für Menschenrechte“ überführt. Ein Teil dieses Klubs spaltete sich daher ab und traf sich nun im „Dorian Gray“. Die Klubs von Lotte Hahm und Kati Reinhard blieben organisatorisch getrennt, veranstalteten aber bis zu dreimal in der Woche für je 200 Frauen Bälle vor allem in der „Zauberflöte“ in der Kommandantenstraße 62. Schon ab Herbst 1932 gab es im „Nationalhof“ keine homosexuellen Veranstaltungen mehr und im März 1933 wurden die Berliner Damenklubs aufgelöst. Lotte Hahm organisierte dennoch von 1933 bis April 1940 lesbische Bälle, indem sie ihren Klub „Violetta“ zunächst in den „Sportclub Sonne“, später in den Kegelklub „Die lustigen Neun“ integrierte und Festsäle in Kreuzberg anmietete. Bis zu 250 Lesben und trans Personen kamen hier laut Polizeiberichten an einem Abend zusammen. Nach 1945 organisierten sie und Kati Reinhard Bälle für Lesben und auch im „Nationalhof“ fanden wieder Feste von Homosexuellen statt. Jedoch versandeten die Bemühungen angesichts des lesbenfeindlichen Klimas der Nachkriegszeit. Das Ballhaus existierte als „Walterchens Ballhaus“ noch bis 1972.
Um zum Endpunkt unserer Tour zu gelangen, überqueren wir die Bülowstraße über den Dennewitzplatz hinweg und begeben uns zu jener Stelle, an der die U-Bahnstrecke Richtung Gleisdreieckpark führt. Hier stand in den 1920er Jahren ein Haus, durch das die U-Bahn fuhr. An seinem Fuße wurde 1923 das „Hollandais“ eröffnet. Als Weindiele bot es für ein schwul-lesbisches Publikum nicht nur Künstler-Konzerte und Auftritte des bereits erwähnten „Theater des Eros“ an, sondern lud ab 1926 mit einer eigenen Jazz-Kapelle zum Tanzen ein. Ab Herbst 1928 organisierte es im Tiergarten nahe des „Instituts für Sexualwissenschaft“ in dem Ballhaus „In den Zelten 2“ aufwendige Kostümfeste mit Tombolas, bei denen u.a. Rundflüge über Berlin als Hauptgewinn lockten. Das Tanzverbot für homosexuelle Lokale Ende 1932 konnte das „Hollandais“ noch umgehen, indem es sich zu einem Klub erklärte, dessen Mitgliedschaft den Zugang zu den Bällen erlaubte. Im März 1933 musste es aber wie alle homosexuellen Treffpunkte in Berlin schließen.
Nach 1945 scheiterten die Bemühungen, an die Subkultur der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Erst in den 1960er Jahren konnten sich einige Treffpunkte für Schwule, Lesben und trans Personen etablieren, doch sollte es bis in die 1970er Jahren dauern, bis eine neue Frauen- und Lesbenbewegung eine ähnlich lebendige lesbische Subkultur wie in den 1920er Jahren aufbauen konnte.
Weitere Informationen
Katja Koblitz führt in dieser Audio-Tour die Journalistin Manuela Kay durchs lesbische Schöneberg. Hör mal rein!
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