Lotte Hahm: Der Kapitän, die Freundin, die Butch-Ikone
Von Lotte Hahm sind insgesamt sechs Bilder überliefert. Auf allen trägt Lotte einen Herrenanzug, kurze gescheitelte Haare und schicke Anzugsschuhe. Offen schaut sie in die Kamera.
Die Geschichte Lotte Hahms begann 1890 in Dresden. Sie wurde in eine evangelische Familie mit drei Geschwistern geboren. Das jüngste Geschwisterkind änderte 1916 mit 18 Jahren seinen weiblichen in einen männlichen Vornamen, ließ sich ab da „Joachim Karl“ nennen und in die Geburtsurkunde eintragen lassen, dass es „nicht männlichen, nicht weiblichen“ Geschlechts war. Lotte hatte da vermutlich schon ihre Ausbildung zur Kontoristin abgeschlossen und war auf dem Weg in die Selbstständigkeit. 1920 eröffnete sie ihre eigene Versandbuchhandlung, im selben Jahr starb ihre Mutter. Lotte zog nach Berlin.
Ihre Geschichte wird nach ihrem Wegzug auch die Geschichte der queeren Berliner Subkultur der 20er Jahre mit ihren Zeitschriften (die fast alle ab 1926 unter das Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schmutz- und Schundschriften fielen), ihren Bars, ihren Vereinen und ihren charmant-bekloppten Ideen für Abendgestaltung, ob Windbeutelwettessen oder Mützenpolonaise. 1926 eröffnete Lotte Hahm den Damenklub Violetta in der Bülowstraße 37: Dame wie Freundin als Synonyme in der Weimarer Republik für Frauen, die notorisch enge Freundinnenschaften pflegen, die auch oft mit geteilten Betten und Nächten einhergingen. Ihr Lokal hatte großen Erfolg und wurde als einer der führenden Läden der Szene in der Zeitschrift „Frauenliebe“ besprochen
„Kampfeslust muß eure Herzen erfüllen und aus euren Augen leuchten.“
Lotte Hahm war eine Größe der Subkultur. Wo ihr Name draufstand, galt der Abend für viele schon im Vorhinein als gute Party. In den Zeitschriften wurden ihr Gedichte und Huldigungen geschrieben. Bei den Abenden (die sie auch mal als Conferencier Lothar Hahm ankündigte) nahm Lotte auch die oft Zurückgelassenen der Szene in den Blick: Die Einsamen und Älteren. Von Anfang an schafft sie auch konsequent Räume für die „Transvestiten“. Den stärksten Zulauf hatten die von ihr veranstalteten, regelmäßigen „Transvestiten-Bälle“, die wohl hauptsächlich durch Butches, weibliche Crossdresser und solche, die wie ihr Geschwisterkind Joachim Karl „nicht weiblichen, nicht männlichen“ Geschlechts waren, besucht worden sind. Genau lassen sich die Selbstverständnisse auch mit heutigen Begriffen schlecht rekonstruieren, man müsste die Leute selbst fragen. Gesichert ist, dass sie meist eine gute Zeit auf den Bällen hatten. Ob Lotte Hahm selbst unter heutigen Bedingungen das Wörtchen „sie“ für sich in Anspruch nehmen würde, steht auf einem anderen Stern und ist aber auch vielleicht eine gänzlich unhistorische Frage.
Für den Conferencier des Damenklubs Violetta gehörten Party und Politik notwendig zusammen. So schrieb Hahm 1930 in „Die Freundin“: „Nicht nur Tanz und gesellige Veranstaltungen können euch Gleichberechtigung bringen, sondern auch Kampf ist nötig, wenn ihr Ansehen und Achtung haben wollt. Kampfeslust muß eure Herzen erfüllen und aus euren Augen leuchten.“ Sie gründete einen „Korrespondenz-Zirkel“, in dem sich Gleichgesinnte der Subkultur finden sollten. Lotte tourte durch die Weimarer Republik, um aus dem Zirkel erwachsende Klubgründungen zu unterstützen. Sie beteiligte sich auch rege an der Schaffung einer politischen Organisation für die Interessen der Damen, Freundinnen und Transvestiten. Zwischen politischem Kampf, Party, Publizistik und dem Ershoppen der neuesten Anzugmode in den Galanteriewarenhandlungen der Stadt verliebte sich Lotte Hahm in Käthe Fleischmann. Käthe Fleischmann, mit einem Namen wie gemacht für eine dykige Kneipenwirtin, war Gastronomin, verheiratet und hatte zwei Kinder. Nach dem sie Lotte Hahm kennenlernte, ließ sie sich scheiden. Als Partners-in-Crime eröffnen die beiden erst die Monokel-Diele (Budapester Straße 14) und dann die Manuela-Bar (Joachimsthaler Straße 26).
Solidarische Lesben, Schmäh und Umverteilung
Durch das clevere Wirtschaften von Käthe war Lotte nicht mehr abhängig von heterosexuellen Männern, die die Räumlichkeiten für ihre Bälle an sie vermieteten oder auch nicht. Beide versuchten, den Besuch ihrer Veranstaltungen nicht vom Geldbeutel abhängig zu machen: Sie schufen solidarische Eintrittsmodelle, erließen mittellosen Freundinnen den Eintritt und organisierten zusätzlich Umverteilungstöpfe, in denen reiche Mitglieder der Subkultur für Ärmere einzahlen konnten. Dazu brachten sie eine Reihe von Künstler*innen der Szene in Lohn und Brot, darunter auch die Kunstpfeiferin Lea Manti, die – wie es in einem zeitgenössischen Kommentar hieß – „nicht nur auf weibliche Kleidung, sondern auch auf den kleinen Fingern pfeift.“ Die Schmähbegriffe, die Zeitungsschreiber für die Szenegrößen fanden, lassen sich noch heute wunderbar als Ehrentitel für Queers verwenden: ob „graziöses Herrchen“ oder „a girl – a slender slip of a girl“.
Trotz des Mutes, dem Durchsetzungsvermögen und der Umsichtigkeit von Käthe Fleischmann und Lotte Hahm blieben die Bars bedrohte Orte und ihre Besucher*innen prekär. So waren die „Transvestiten“ in ständiger Unsicherheit durch den Paragraphen zur Erregung öffentlichen Ärgernis, der vom staatlichen Gewaltmonopol in Uniform dazu benutzt wurde, eine rigide, binäre Geschlechterordnung in den Straßen Berlins durchzusetzen – so sehr sich die Flaneur*innen dieser Ordnung auch widersetzten. Ab Herbst 1932 randalierten die noch nicht-staatliche Gewalttäter in Uniform der SA in den Bars. Auch aus antisemitischen Gründen: Käthe Fleischmann war Jüdin.
Die 30er: Heimliche Parties, Haft und Verfolgung
Mit der Machtergreifung wurde das bedrohte, aber gerade so mögliche Leben zu einem akut gefährdeten. Fleischmann velor ihre Schanklizenz und als Jüdin die Möglichkeit, Besitz zu erwerben. Bis 1935 versuchten Hahm und Fleischmann klandestin Parties zu organisieren, erst in der Joachimsthaler Straße 13, dann in der Berliner Straße 53, die jedoch denunziert wurden. Käthe Fleischmann überlebte den Nationalsozialismus knapp, von der schweren Zwangsarbeit, die sie verrichten musste, blieb sie den Rest ihres Lebens gezeichnet. Lotte Hahm schlug sich durch, erst auf Hiddensee, dann in Berlin, verbüßte möglicherweise eine Gefängnisstrafe wegen Betrugs, aber schaffte es, den Händen des Regimes weitestgehend zu entkommen.
Nach dem alliierten Sieg über den Nationalsozialismus und dem Aufbau von BRD und DDR gehen beide noch ein Stück ihres Lebens gemeinsam, Käthe Fleischmann trennte sich jedoch enttäuscht in den 50ern von Lotte Hahm. Beide starben 1967 in Berlin, Lotte in Berlin-Wannsee, Käthe in Schöneberg.
(Anmerkung: Das Leben der Beiden ist hauptsächlich aus Szenepublikationen, Polizeiakten und Berichten von Zeitgenoss:innen rekonstruierbar. Dass wir überhaupt Zeugnisse haben, ist den Forschungen erst von u.a. Claudia Schoppmann und Heike Schader zu verdanken, die im Rahmen der lesbischen Bewegungsgeschichtsforschung über sie schrieb und forschte. Und ein aktuelles Forschungsprojekt wurde 2021 von Ingeborg Boxhammer und Christiane Leidinger durchgeführt und publiziert. Diese Forschungen bilden die Grundlage dieses Textes, vielen Dank an dieser Stelle!)
Ab dem 13. September 2023 erinnert eine Gedenktafel in der Hasenheide an Lotte Hahns Leben und Wirken für die queere Community in Berlin.
Weitere Informationen
Abonniere den Instagram-Kanal von Place2be.Berlin für aktuelle Infos und Eindrücke aus der Stadt!
Interessante queere Locations überall in Berlin zeigt dir der Place2be.Berlin-Stadtplan.
Noch mehr Queer History Berlin wartet auf dich in unseren Stadttouren.
Eine komplette Übersicht über alle Veranstaltungen für jeden einzelnen Tag findest du auf den Terminseiten der SIEGESSÄULE, Berlins großem queeren Stadtmagazin.
Texte: Mowa Techen